Andreas Döllerer im Portrait
Darüberhinaus setzt er den Begriff äußerst behutsam ein. Zu strapaziert sei er, sagt er und meint damit die Tatsache, dass Heimat zusehends für so ziemlich alles herhalten muss. Dennoch hält er es für wichtig, seinen eigenen Kindern das Gefühl von Heimat zu vermitteln. Schließlich gehe es um die Zukunft, ihre eigene und auch die des Hauses Döllerer. Ohne nötige Erdung und das Wissen, woher man kommt und was einen ausmacht, könne Zukunft nicht gedacht werden. Egal ob man nun hierbleibt oder weggeht.
Fertig ist man niemals. Und wenn doch, ist Zeit abzugeben.
Überhaupt ist das Thema Entwicklung für Andreas ein zentrales. Ständig hinterfragt er sich und seine Arbeit. Man sei eben niemals fertig, sagt er. Auch nicht, wenn man viel erreicht habe. Sollte sich irgendwann dennoch dieses finale Gefühl einstellen, sei es an der Zeit, die Bühne anderen zu überlassen. Zu tun gebe es dann vermutlich immer noch genug, Kochbücher schreiben zum Beispiel, oder einfach mit Freunden und Familie Zeit verbringen. Das ist in den letzten Jahren gerne mal zu kurz gekommen. Dann kamen Corona und damit auch die unfreiwillige Ruhe. In der hat Andreas aber auch eine Chance gesehen. Gemeinsam mit Christl und den Kindern haben sie zum ersten Mal Weihnachten und Silvester privat verbracht. Das hat Platz im Kopf geschaffen, auch für neue Projekte. Andreas sprüht vor Ideen und kann es kaum erwarten, die eine oder andere in die Tat umzusetzen. Der Koch.campus ist nur eine der Aktivitäten, die Andreas besonders am Herzen liegen. Gemeinsam mit Gleichgesinnten hat man es sich zur Aufgabe gemacht, die österreichische Küche weiterzuentwickeln und ihr damit auch international eine Signatur zu verleihen. Das sei wichtig, um Österreichs außergewöhnliche Küche auch außerhalb des eigenen Landes sichtbar zu machen. „Wir haben wirklich gute Produzenten, unsere Arbeit schafft ihnen eine Bühne. Wir nutzen diese Bühne aber nicht nur für das Aufzeigen positiver Beispiele, sondern auch dafür, Missstände sichtbar zu machen.“ Gerade bei der Tierhaltung gebe es da immer noch viel zu tun. In jüngster Zeit hat sich Andreas intensiv mit dem Thema Kalbfleisch befasst, sich verschiedene Haltungsformen und Tierrassen angesehen. Sein Wissen will er nun an andere weitergeben. Im Rahmen des Koch.campus und mit dem Willen, die Dinge im positiven Sinne zu verändern.
Es ist ein Privileg, seiner Leidenschaft nachkommen zu können und beruflich genau das tun zu dürfen, wofür man brennt. Für Andreas ist das alles andere als selbstverständlich. Natürlich ist es ein mitunter harter Weg und nicht alles an diesem Beruf ist ein Zuckerschlecken. Aber am Ende ist es exakt diese Leidenschaft, die andere mitnimmt und ansteckt. „Für viele junge Menschen sind wir echte Vorbilder. Dieser Verantwortung müssen wir uns bewusst sein. Auch dann, wenn es einem einmal nicht so leichtfällt.“
„Unsere Kinder sind in ihrer Entscheidung vollkommen frei. Es war uns wichtig, sie nicht zu drängen oder gar zu zwingen. Ich gebe aber zu, dass ich mich sehr darüber freue, dass wir sie mit unserer Arbeit inspirieren konnten. Auch wenn sie am Ende ihren ganz eigenen Kopf haben.“
Nicht auf das „Ich“, sondern auf das „Wir“ kommt es an.
Zufriedene Mitarbeiter sind für Andreas das größte Kapital eines Betriebs. Wertschätzung und ein Arbeiten auf Augenhöhe, das ist es, was zählt. Gerade die letzte Zeit habe gezeigt, dass viel in Bewegung gekommen sei. Einige Betriebe hätten die Zeichen der Zeit aber noch nicht erkannt. Transparenz, faire Bezahlung und ein gutes Klima seien die zentralen Themen. Was einfach klingt, ist harte Arbeit. „Wir müssen uns fragen, was wir unseren Mitarbeitern bieten können. Das betrifft nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch die Freizeit.“ Letztere sei mindestens genauso wichtig. Fürs Abschalten und Krafttanken. Ein Ansatz, der noch vor wenigen Jahren undenkbar schien. Die Arbeit mit dem Nachwuchs ist Andreas generell ein Anliegen. So hat er gemeinsam mit der Hotelfachschule Gastein eine „Meisterklasse“ ins Leben gerufen. Schüler und ihre „Idole“ kochen Seite an Seite und bekommen neben erstklassigem Wissen auch einen ordentlichen Motivationsschub. „Man bekommt von den jungen Menschen so viel zurück und erinnert sich an die Zeit, als man selbst so jung war. Wen man bewundert und wem man nachgeeifert hat. Es ist eine prägende Zeit - umso schöner ist es, diese Phase mitgestalten zu dürfen.“
Vorbilder hat Andreas heute keine mehr, aber Menschen, deren Konsequenz er bewundert. Die Reitbauers beispielsweise oder auch Jamie Oliver. Menschen, die eine Vision haben und ihrer Zeit stets einen Schritt voraus sind. Dabei geht es gar nicht darum, recht zu haben, sondern darum, nicht stehenzubleiben. Sich nicht auf den einmal verdienten Lorbeeren auszuruhen.
Fragt man Andreas nach der Zukunft der österreichischen Küche im Allgemeinen und nach der Zukunft der Alpine Cuisine im Besonderen, bekommt man eine erstaunlich klare Antwort: „Die Zukunft liegt in dem intensiven Zusammenspiel zwischen Köchen und Produzenten.“ Ein Netzwerk, das man sich über die Jahre konsequent aufgebaut hat und dessen Potenziale noch nicht einmal im Ansatz ausgeschöpft sind. Gemeinsam habe man Signature-Produkte, wie zum Beispiel den Bluntausaibling oder das Tauernlamm, entwickelt. Eine neue Form des Luxus, wenn man so will. Waren es früher weitgereiste exotische Zutaten, sind es heute fast ausschließlich heimische. Über die Jahre hat Andreas den Kreis der Herkunft immer enger gezogen, bei den Techniken und Zubereitungsarten hingegen bleibt er international. Man spürt seine Liebe zur japanischen Küche, die Hinwendung zum Purismus und zur Reduktion auf das Wesentliche. „Man muss das Produkt auf dem Teller erkennen und man muss es schmecken. Ganz egal wie viel Hirnschmalz von uns allen in einem Gericht steckt“, stellt Andreas unmissverständlich klar.
Privat freut er sich darauf, seine Kinder aufwachsen zu sehen. Ihnen den Raum zu geben, sich in aller Ruhe entwickeln zu können. Keiner der drei Buben müsse einen vorgezeichneten Weg gehen, interessanterweise haben sich zwei von dreien bereits für eine gastronomische Ausrichtung entschieden. Das müsse keinesfalls so bleiben, sagt Andreas, denn im Laufe eines Lebens könne viel passieren. Wenn man inmitten dieses Betriebs aufwächst, ist das jedenfalls prägend. Träume und Realität verschmelzen zu einer Art von Normalität, die man hier vermutlich in der DNA trägt.