Wein

From Dusk till Dawn

Die kalte Jahreszeit ist ins Land gezogen und wir warten auf die ersten Schneeflocken. Das große Zittern vor den düsteren Gestalten, die diese Tage mit sich bringen, ist bis jetzt noch ausgeblieben. Die Angst vorm Krampus wird aber mit Sicherheit spätestens in ein paar Tagen wieder in so manchen Gliedern stecken.

Da tröstet es uns ein bisschen, dass man dann wenigstens auch das gute Benehmen und das schlechte Gewissen gegenüber den zotteligen Gestalten ablegen kann. Auf einmal ist ein völlig anderes Schönheitsideal gefragt, denn der Krampus von Welt will ja schließlich hauptsächlich schön grauslich aussehen. Es steht uns also wieder einmal der Tag ins Haus, an dem man ohne weiteres folgende Sätze sagen darf und dabei dem Krampus noch eine Freude machen kann:

„Ma bist du heut aber schiach!“

„Von Jahr zu Jahr kriegst kaputtere Haar!“

„Die Zahnspange hilft net wirklich, oder?“

„Ziag noch einmal durch, I hob eh nix gspürt!“

Wie gesagt diese Tage erfordern den etwas anderen Knigge-Guide. Das dämmerte mir auch, als sich bei mir zu Hause vollkommen unangemeldet ein paar finstere Gestalten zur Abenddämmerung, im „Dusk“ also, einfanden. Nein, ich spreche jetzt nicht von den Krampussen, sondern von meiner Weinrunde. Vorbereitung ist in solchen Situationen ja bekanntlich die halbe Miete und mit meinem Weinkeller bin ich auf Vieles vorbereitet.

Daher schlichen wir uns mit gezücktem Korkenzieher die Kellertreppe hinunter, um so einigen Flaschen das Fell über die Ohren zu ziehen. Wir harten Kerle wollen natürlich nicht den Eindruck erwecken Weingenießer zu sein, die auf weichgespülte Flaschen stehen. Mit „weichgespülten“ Weinen meinen wir Weine, die durch zunehmende „Pulverisierung“ und „Versüßung“ komplett ihren Stil und Charakter verlieren. Die sogenannte „Gummibärli-Brause“ braucht nun wirklich keiner, obwohl mir schon alleine beim Gedanken daran, die zum heutigen Thema passende Gänsehaut aufzieht. Wir bevorzugen den echten, unverfälschten und jahrgangsbezogenen Geschmack.

Der richtige Auftakt für unsere „Dämmerungs-Partie“ und das unvermeidliche Eintreffen der Krampusse bietet daher eine Flasche Riesling Pettenthal 2019 von Kühling-Gillot.

Dieser Wein vom steilsten Weinberg Rheinhessens mit über 70% Neigung ist karg, rauchig, straff und würzig – genauso wie es einem harten Gesellen wie dem Krampus wahrscheinlich ebenso schmecken würde. Auch die finsteren Züge der manchmal kritischen Gestalten meiner Weinrunde hellen sich beim Genuss des Rieslings Pettenthal gleich merklich auf und man leert mit einem „ziemlichen Zug“ die Gläser.

Einmal angefangen wollen sie natürlich mehr und bevor sich ihre Mienen wieder verdüstern, kredenze ich meinen Gästen gleich ein weiteres Highlight, nämlich den Weißen Schiefer „S“ von Weingut Schiefer aus dem Jahre 2018.

Auf meine Frage, ob ich einschenken darf, nicken die brummigen Gesellen genauso artig, als ob sie der Nikolaus gefragt hätte, ob sie dieses Jahr auch brav wirklich gewesen sind. Bevor uns noch einfällt, dass wir zum traditionellen Nikolaus-Gedicht ansetzen, bei dem unser Gedächtnis sowieso ins Straucheln kommen würde, besinnen wir uns lieber auf den Ablauf unserer Weinfolge. Denn diesen würden wir nie und nimmer vergessen!

Der nächste Kandidat, der jetzt seine besten Seiten zeigt, – denn das Christkind sieht ja jetzt bekanntlich wirklich alles – ist der Contrada Chiappemacine von Az. Agr. Passopisciaro aus dem Jahre 2015. In ihm läuft die Rebsorte Nerello Mascalese zur Hochform auf. Dabei denkt man an einen Wolf im Schafspelz oder vielleicht einen Krampus mit Nikolausbart. Elegant-duftig, erinnernd an einen Burgunder, aber gleichzeitig ist dieser Wein – das Piemont lässt grüßen – zupackend und würzig am Gaumen. Passend zur Farbe des Nikolaus-Mantels gelingt uns damit ein grandioser Wechsel zu den Rotweinen.

Von finsteren Gesellen zu seligen Engerln wird meine Weinrunde jedoch endgültig als ich ihnen die Magnum Paradigma 2016 von Claus Preisinger aufwarte. Ganz froh und munter sind sie auf einmal – also genauso wie man es rund um den 6. Dezember auch sein sollte.

Mein Fazit als ich mich frühmorgens, also im „Dawn“, im Weinkeller umsehe, ist, dass der Schaden doch größer ist als erwartet, der Zug der Krampus-Rute doch etwas mehr weh tat, als ich gedacht hätte, und dem Nikolaus das Gedicht eigentlich wurscht war, er aber dafür lieber ein zweites Glas Paradigma gehabt hätte.

Daraus schließe ich: „Schönreden“ oder „-Trinken“ hilft da mal gar nichts! Bei meinen unrasierten Jungs, aka finsteren Gesellen, ist Hopfen und Malz verloren.

 

Alex Koblinger, Master Sommelier