Partnerportrait

Die Blaue Gans

Über Künstler und Lebenskünstler, Provinzler und Weltenbummler, über Gäste und Gastgeber und die Grenzen von Regionalität.

„In unserem Haus spielt die offene Atmosphäre eine große Rolle, die durch die Kunst verstärkt wird. Es hat etwas Magisches, wenn man diese Welt betritt.“

Andreas Gfrerer

Andreas Gfrerer

Er ist ein Querdenker und leidenschaftlicher Gestalter. Seit mehr als 25 Jahren führt er die Blaue Gans in der Salzburger Getreidegasse. Für uns ein Grund, mit ihm über die Faszination dieser multikulturellen Stadt zu reden, über ihre Menschen und die Lust, sich bei aller Tradition immer wieder auf Neues und Unbekanntes einzulassen.

CHRISTIAN DÖLLERER: Über eine Stadt wie Salzburg wurde schon beinahe alles geschrieben, wie überraschend ist sie für dich immer noch? 

ANDREAS GFRERER: Es ist die Frage, was man unter Stadt versteht: das Gebaute, das Manifeste oder das soziale Gefüge, also der Ort, der entsteht, wenn man an ihm etwas macht? Mich interessiert, was zwischen den Men-schen passiert, wenn sie eingeladen werden, aufeinander zuzugehen und sich zu öffnen, sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen. Dabei erlebt man Überraschendes. Genau hier ist noch so unglaublich viel Potenzial vorhanden. Ich fühle eine Sehnsucht nach Formaten, die dieses Potenzial heben können. Ich behaupte, in dieser Sehnsucht liegt etwas Neues, Ungeborenes, Aufregendes, eben etwas Exotisches.

 

C. D.: Wenn du Salzburg in zwei Sätzen beschreiben müsstest?

A . G .: Salzburg ist eine Gebirgsstadt, die sich dem Süden zuwendet und die geübt darin ist, sich als Ort für Ideen und Geist zur Verfügung zu stellen. Sie läuft ständig Gefahr, in Kleingeistigkeit zu ertrinken, erfährt aber verlässliche Rettung durch Menschen, die sich ihr verbunden fühlen; mit ihnen schwingt sie sich zu ihrer wahren Größe auf.

 

C. D.: Eine Stadt wie diese hat auch ihre Bruchstellen, zieht dort und da Fassaden und Kulissen auf. Was ist für dich das echte und authentische Salzburg?

A . G .: Das echte und authentische Salzburg gibt es ebenso wenig wie das authentische Venedig oder das echte Bruck an der Mur. Es ist allerdings erwiesenermaßen so, dass die Altstadt in hohem Maße identitätsstiftend ist. Ich würde meinen, dort, wo sich die Angebote vor allem an die Einheimischen richten, wo man auf den Alltag der Hiesigen abzielt, hat man das Erlebnis von Lebendigkeit, Eigensinn und Relevanz. Und von diesen Orten gibt es – allen Unkenrufen zum Trotz – sehr viele.

 

C. D.: Gibt es geheime Plätze, die es zu entdecken gilt, mit denen man hier eigentlich gar nicht rechnet?

A . G .: Wenn ich die jetzt aufzählen würde, wären sie keine geheimen Plätze mehr. Ich trete für eine „sanfte“ Reisekultur ein: weniger suchen, mehr finden. Oder noch besser: von den Orten gefunden werden. Sich absichtslos dem Treiben hingeben und ziellos, aber mit scharfer Beobachtung, dorthin gehen, wo Spannung ist, gerne abseits der Hotspots. Einer Spur folgen, von der man nicht wusste, dass sie eine ist. Wer nichts sucht, der findet viel.


C. D.: Wie viel Irritation verträgt eine Stadt wie diese und wie wichtig ist es, an den richtigen Stellen aus den Fugen zu geraten?

A . G .: Stadt ist Irritation per se. Stadt ist eine Differenzerfahrung. Wenn wir von Urbanität sprechen, meinen wir genau das: durchmischt, divers, multikulturell. Eine Stadt ist das Angebot, mit ihr in Resonanz zu gehen, sich dabei üerraschen zu lassen und auch das auszuhalten, was nicht auf den ersten Blick „schön“ ist. Überhaupt, wer bestimmt, was schön ist? Schönheit lauert überall.

 

C. D.: Du führst seit über 25 Jahren die Blaue Gans, was sind die Eckpfeiler dieses Konzepts von Gastfreundschaft?

A . G .: Die Gastfreundschaft selbst. „Willkommen“ ist bei uns keine Floskel. Der Ausdruck bedeutet, einen Menschen oder eine Situation so anzunehmen, wie sie ist. Das gilt im Übrigen auch für Mitarbeiter:innen. Du bist okay, so wie du bist, du musst dich nicht verstellen. Willkommen! In unserem Haus spielt diese offene Atmosphäre eine große Rolle, die durch die Kunst verstärkt wird. Es hat etwas Magisches, wenn man diese Welt betritt. Wir alle sehen uns im Dienste dieses Zaubers, den gute Gastgeber:innen vollführen. Wir sind nicht im Gastro-Business, wir sind im Verwandlungs-Business!

 

C. D.: Was unterscheidet die Blaue Gans aus deiner Sicht von anderen vergleichbaren Betrieben?

A . G .: In unserem Haus faszinieren mich die vielen Verwandlungen: Aus historischen Gängen und alten Mauern wird eine Wunderkammer, aus einem Raum wird ein stimmungsvolles Restaurant, aus einem Motorrad-Parkplatz eine mediterrane Gastgarten-Oase, aus einem Leerstand eine rot leuchtende Campari-Bar usw. Ich wäre traurig, wenn Gäste nur wegen des guten Essens und der hervorragenden Weine kommen würden. Du als Weinhändler musst jetzt ganz stark sein: Das alles sind Hilfsmittel für den eigentlichen Vorgang, und der ist vergleichbar mit einem Theaterbesuch. Gastgeber und Gäste sind Teil einer Szenerie, mit sozialen Codierungen und Rollen, Emotionen und Emp™ndungen; Vorhang auf, und wenn er sich wieder schließt, wirst du als ein anderer gehen als jener, der zu uns gekommen ist. Ich glaube, dass wir diese Prinzipien verstanden haben und gut beherrschen.

 

C. D.: Das kulinarische Salzburg hat viel zu bieten, gibt es für dich so etwas wie die kulinarische Identität einer Stadt? Und wenn ja, wie würdest du diese beschreiben?

A . G .: Ich würde sagen, Salzburgs kulinarische Identität, falls es so etwas gibt, besteht aus Berg, Fluss, Wald und Feld bzw. Wiese. Aber sie ist auch immer der Süden und die Sehnsucht nach ihm. Ich halte nichts von dieser Hyper-Regionalität, die an Grenzen haltmachen will und historische Bezüge bzw. jahrhundertealte Handelstätigkeit geringschätzt. Darüber hinaus ist Identität nichts Starres, es ist nicht mehr als das Bild, das man von sich hat. Und das ist wandelbar, vor allem durch selbstrefexive Phasen. Vielleicht kommt ja die Tourismuswerbung irgendwann ohne Bilder von überquellenden Speckjausenbrettln aus.

 

C. D.: Wie kann man das kulinarische Salzburg in die Zukunft führen? Was sollte bleiben, was sollte man überdenken?

A . G .: Ich sehe es als Aufgabe der heutigen Generation von Köchen und ähnlicher Berufe an, der Kochtradition dieser Region das Thema Gemüse beizufügen.

 

C. D.: Kunst und Design sind in deinem Haus allgegenwärtig. Was bedeuten sie dir und siehst du die Kunst als Mittel, scheinbar Selbstverständliches mit anderen Augen zu sehen?

A . G . : „Kunst ist der ungeschützte Verkehr mit der Intelligenz des anderen“, sagte Peter Sloterdijk einmal. Ich ™nde, das stimmt, besonders dann, wenn mich ein Kunstwerk aufregt, verstört, ärgert, es an meinen Gesinnungs-Grundfesten rührt. Ganz oft lohnt genau in diesen Situationen ein zweiter, möglicherweise schonungsloser Blick, weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass man etwas über sich selbst oder über die Welt lernt. Das kann Kunst: Perspektiven öffnen, Horizonte erweitern, inneres Wachstum einfordern. Gleichzeitig ist die Kunst in meinem Haus für mich ein Schutzmantel, ein feinstofflicher Puffer, der die fast siebenhundertjährige Vergangenheit auf Distanz hält und eine Art zeitgenössische Überlebensblase bildet.

 

C. D.: In deinem Haus gehen Künstler, Kreative, Menschen aus aller Welt ein und aus, wie sehr inspiriert dich das und wie hat das den Blick auf „deine“ Stadt geprägt und/oder verändert?

A . G .: Grundsätzlich sehe ich es als meine Aufgabe, dass wir die Menschen, die bei uns ein und aus gehen, inspirieren. Aber es ist natürlich schon sehr schön, wenn man außergewöhnliche Menschen um sich haben darf. Manche Hoteliers sagen ja: „Wir sind dazu da, unsere Gäste glücklich zu machen.“ Ich habe immer empfunden, dass das umgekehrt ist. Ich bin dann glücklich, wenn es diese dichte, emotionale Atmosphäre gibt. Jeder gute Gastronom, jede gute Gastgeberin kennt dieses Gefühl, wenn die Luft flirrt und die Stimmung über den Köpfen eine tänzelnde ist. Gleichzeitig spürt man irgendwo in der Magengrube, dass es gut „sitzt“. Das ist ein Gefühl von Erdung, von Passung, von Stimmigkeit, und am besten entsteht diese symphonische Emotion dann, wenn man eine bunte Mischung von Gästen hat, die einander zugewandt sind und miteinander in intensivem Austausch sind. Angesichts dieser kriegerischen Zeit denke ich mir an Festspielabenden oft: „Wie schön ist es, wenn Menschen friedlich an Tischen sitzen und über Oper streiten!“

 

C. D.: Wenn die Künstler, Musiker, Schriftsteller und Weltenbummler weg sind, wer oder was bleibt, wenn die Stadt zur Ruhe kommt?

A . G .: Dann kommen neue Künstler und Lebenskünstler, Arrivierte und Anfänger, Erfolgreiche und Erfolglose, Provinzler und Weltenbummler, Kenner und Neulinge in die Stadt. Und auch die fahren wieder fort und machen anderen Platz.
Was bleibt, ist die Faszination von Salzburg.